200411 sitzen in der stille achtsamkaeit meditation in corona zeiten von doris osterhues

 

Liebe Yoginis und Yogis,
liebe Teilnehmer des Sitzens in der Stille,
sehr geehrte Damen und Herren,

 

wenn uns dieser Tage und der vielleicht erzwungenen Nähe zu anderen Menschen etwas nicht passt, können wir – anstatt den/die Andere zu korrigieren, erst einmal in unsere achtsame Atmung gehen (siehe hierzu die Übungen aus den vergangenen Tagen).

 

Aus euren zahlreichen Nachrichten habe ich erfahren, dass es für viele Mitsitzer*Innen gar nicht so einfach ist, den Atem in der angegeben Form zu zählen, ohne dass es anstrengend wird - doch anstrengend soll es keinesfalls sein!

 

Wer bereits regelmäßig mitgesessen hat, hat nun schon erste Erfahrungen sammeln können und mit ziemlicher Sicherheit den inneren Schweinehund kennengelernt, der da flüstert "Heute früh kann ich einfach nicht meinen Atem zählen, ich bin dann mittags wieder dabei ..." oder "Die Sonne scheint so schön, ich sitz dann mal später" oder "Was soll dieser Schrott eigentlich, was bringt mir das" oder oder oder ...

 

Was bringt mir das?

Was bringt es mir eigentlich, wenn ich mich mit der Freundin zum 10. Mal austausche, welchen Kuchen ich gebacken habe und wie daneben sich der Partner wieder benommen hat? Oder wenn ich die 25. SMS-Nachricht über den ganz normalen Alltag verschicke oder lesen muss? Oder meinem Gegenüber Weisheiten und Erfahrungen predige, die er/sie vielleicht längst kennt, aber zu freundlich ist, mich zu unterbrechen.

 

Wer kennt das nicht: Man spricht ein Thema an und schon muss man sich eine Litanei anhören, wie das und das zu handhaben ist, oft ist es auch noch eine Predigt am Thema vorbei.

 

Was bringt das? Was bringt es, wenn ich mich zum wiederholten Male aufrege über die Verbote des Herrn Söder? Oder über NachbarInnen, KollegInnen, FreundInnen ratsche? Was bringt mir das?

 

Was bringt mir das Sitzen?

Einfach nur Sitzen. Sitzen.Nicht UM ZU.

 

  • Loslassen
  • Loslassen all dieser Gedanken
  • Loslassen von Vorstellungen, wie der Partner/die Partnerin zu funktionieren hat
  • Loslassen von der Anhaftung immer gesund sein zu müssen, obwohl doch nichts so sicher kommt wie Krankheit und Tod - ok, manchmal kommt der Tod auch ohne Krankheit... dann aber meist in sehr jungen Jahren.

Beim Sitzen üben wir loszulassen von allen Anhaftungen und Vorstellungen. Denn das Leid kommt durch unsere Vorstellungen und Anhaftungen. Wir wünschen möglichst ein Leben ohne Leid.

 

Die Wahrheit ist aber anders - Leid ist Teil des Lebens. Indem wir versuchen, es zu verdrängen, drängt es sich uns immer mehr auf. Mit dem achtsamen Sitzen nehmen wir das Leid an und lassen gleichzeitig los von Anhaftungen und Vorstellungen.

 

Sitzen kann auch Leid bedeuten: Rückenschmerzen, innere Unruhe, Zeitverschwendung, nicht kratzen dürfen obwohl es teuflisch juckt, Ängste usw., aber auch Wonne, Freude, Eintauchen in das Ganze, das Große, das Miteinander.

 

Im Sitzen ist man nie allein. Irgendwo sitzt immer noch jemand auf der Welt, sitzen ganz viele. Ich trete ein und darf mitsitzen. Einfach so. Ohne Anmeldung, ohne Bezahlung, ohne große Vorstellungen und Wünsche ...

 

Das Sitzen in Achtsamkeit spiegelt unser gesamtes Leben wieder, wir lernen mit zunehmender Übung besser damit umzugehen. Wir lernen uns nicht mehr so wichtig zu nehmen, uns rauszunehmen.

 

 

Das klingt vielleicht erst einmal nicht sehr motivierend.
Aber es schenkt uns Freiheit!!

 

Wir können das Leben aus einer anderen, vielleicht höheren Sichtweise betrachten. Und das was uns eben noch gestört hat am Anderen, erscheint vielleicht in einem anderen Licht. Der/die Andere möchte auch nur glücklich sein und hat eventuell nicht die geschickteste Art, das zum Ausdruck zu bringen.

 

Aber letztlich gewinne nicht nur ich an Persönlichkeit, wenn ich das Ganze aus einer globalen Sichtweise betrachte, sondern lasse auch den Anderen Raum. Und das sollte wir gerade in diesen Tagen beherzigen.

 

Und ganz wichtig:

Lasst uns im WIR denken, nicht im ICH, sondern im WIR. Wir als Partner, als Familie, als Geschäftskollegen wollen miteinander leben, arbeiten. "WIE KOMME ICH WEITER" separiert mich von den anderen. Was können wir tun, damit es UNS besser geht, sollte der Weg sein.

 

Während der Corona-Krise dürfen wir uns auch gern mal bei den Nachbarn gedanklich umsehen. Wer ist allein? Wer ist womöglich alt, krank und allein? Man kann einfach mal ein Zettelchen vor die Tür legen – vielleicht mit einem Osterei - mit dem Angebot, miteinander zu telefonieren oder Einkäufe zu tätigen.

 

Ansonsten wünsche ich allen, die Ruhe dieser Tage wahrnehmen und genießen zu können. Manche Menschen empfinden jetzt viele Glücksmomente - gerade aufgrund dieser Stille. Ihnen wünsche ich, dass sie mit sich sein können und nicht von Anderen mit Anrufen und Textnachrichten bombadiert werden, wo sie jetzt doch so viel Zeit haben ...

 

 

Und jetzt zum Atmen in der Stille

Es ist überhaupt nicht einfach, den Atem bewusst fließen zu lassen. Wer angefangen hat zu üben, erwischt sich vielleicht dabei, erst einmal aktiv zu atmen, was aber nichts mit unserer erholsamen Zwerchfell-Atmung zu tun hat (natürlich gibt es sehr gute Atemübungen, bei denen wir aktiv mit dem Ziel atmen, Bauchmuskulatur und Atemmuskeln zu kräftigen, Gedärme zu reinigen etc.), aber jetzt sind wir erst einmal bei der Atmung in der Stille, die auch unseren Geist zur Ruhe kommen lässt.

 

Wir müssen uns Folgendes ganz klar machen:

 

  • Der Atem läuft passiv.
  • Das ganze Leben lang.
  • Sonst wären wir bereits erstickt.
  • Der Atem läuft von allein.
  • Wir werden geatmet.
  • Wir müssen gar nichts dazu tun.

 

Doch leider tun wir was dazu:

 

  • Wir neigen dazu, das Atmen abzukürzen.
  • Wir haben die Einatmung noch gar nicht zu Ende laufen lassen – da atmen wir schon wieder aus.
  • Doch auch oder besonders das Ausatem halten wir gern vorzeitig an – um schon wieder einzuatmen.
  • Oft haben wir das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen.
  • Das liegt aber nicht selten daran, dass wir vorher nicht ausreichend und in Ruhe ausgeatmet haben.

 

Ich beginne immer gern mit der Ausatmung:

 

  • Denn Ausatmen hat was mit Loslassen zu tun.
  • Viele von uns können nicht loslassen.
  • Das kann sich zeigen, indem wir unsere Kinder und Mitmenschen ständig bevormunden, weil wir denken, dass wir es besser wissen.
  • Wir müssen uns immer wieder klar machen, dass wir z.B. mit unseren Kindern laufen üben, ihnen den Weg zeigen. Gehen müssen sie ihn allein. Und irgendwann auch entscheiden, welchen Weg sie einschlagen. Und dann heißt es für uns loslassen.
  • Den Ausatem ganz sanft ausströmen lassen bis zum Ende, und dann beobachten wie der Einatem kommt – lautlos – ganz sanft – zuerst den Bauch hinausgehen lassen durch die Einatmung, den unteren Rücken, Weite im gesamten großen Becken bis in den Beckenboden (mindestens 2/3 der Einatmung)  und danach weitet sich noch sanft der Brustkorb (1/3).
  • Lauschen
  • Beobachten
  • Fließen lassen
  • Nichts tun.

  • Aber bis zum Ende laufen lassen.

  • Und dann kommt erst langsam die Ausatmung.

  • Die Ausatmung dauert idealerweise doppelt so lang wie die Einatmung.

  • Kleine Kinder machen das noch automatisch.

  • Ältere Menschen finden auch oft leichter dazu. Wenn sie loslassen können.

  • Auch körperlich ...

  • Tagelang kein Stuhlgang? Loslassen!

  • Das ist einfach gesagt, ich weiß.

  • Es bedarf der täglichen Übung.

 

Weshalb erkläre ich seit Wochen nur diese eine Atmung?

Warum keine anderen Übungen?

 

  • In jahrzehntelanger Erfahrung durfte ich lernen, dass Yogaübungen allein nicht ausreichen.
  • Es kommt darauf an, mit welcher inneren Haltung wir sie ausüben.
  • Ich halte nichts davon, sich in exotische Übungen zu zwingen und sich immer noch weiter zu dehnen.
  • Vielmehr habe ich gelernt, langsam und achtsam und kontrolliert in eine Übung zu gehen (der Weg in die Übung ist äußerst wichtig) und dann loszulassen – der Atem fließt – und die Muskeln und Faszien lassen los und man kommt von ganz allein weiter in die Stellung hinein.
  • Ohne Anstrengung!
  • Einfach nur Loslassen.
  • Loslassen mit jeder Ausatmung.

 

Wenn wir also soweit sind, dass wir den Atem wie beschrieben lautlos und ohne Anstrengung einfach fließen lassen können, dann sind wir bereit für fortgeschrittenes Yoga.  

 

  • Wir erleben die Übungen dann in einer ganz anderen Weise als nur unter dem sportlichen Aspekt.
  • Wir können hineinspüren, welche Körpersysteme durch den Atemfluss, die deutliche Bewegung des Zwerchfells, in den unterschiedlichen Stellungen beeinFLUSST werden:

    • Herz-Kreislauf-System
    • Lymphsystem
    • Verdauuungssystem
    • Nervensystem
    • ...

  • Alles hängt zusammen mit der Atmung.
  • Und es ist viel einfacher als wir oft denken.
  • Wir müssen uns gar nicht anstrengen, sondern nur fließen lassen mit der Achtsamkeit darauf, dass einatmend Weite entsteht und ausatmend losgelassen wird.

Wir treffen uns also alle

täglich um 7.00, 12.00 und 19.45 Uhr für jeweils 5 Minuten zum gemeinsamen Sitzen in der Stille.

 

In diesem Sinne wünsche ich ein frohes Osterfest!

 

Herzliche Grüße

Doris

 


Lasst uns die Einzigartigkeit dieser momentanen Stille spüren – Stille, Leben, Frieden.

 



Links:

Sitzen in der Stille - Übung 01

→ Sitzen in der Stille - Übung 02

Sitzen in der Stille - Übung 03

Sitzen in der Stille - Übung 04